Weltliga-Kongress in Brno

Das historische Auditorium der Fakultät für Architektur an der Technischen Universität in Brno (Brünn) ist ein wichtiges (vielleicht sogar das wichtigste) Denkmal der Geschichte der queeren Emanzipationsbewegung in der Tschechischen Republik. Hier fand im Herbst 1932 der fünfte Kongress der Weltliga für Sexualreform (WLSR) statt, an dem Magnus Hirschfeld und eine Reihe von Ärzt*innen und Queer-Aktivist*innen aus der Tschechoslowakei und anderen europäischen Ländern teilnahmen. Josef Weisskopf (1904–1977), der von 1929 bis 1932 als Assistent am Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Fakultät der Brünner „Masarykova Univerzita“ tätig war, hatte die Verantwortlichen davon überzeugen können, das Auditorium neben weiteren Räumlichkeiten der Universität für den Kongress zur Verfügung zu stellen.

Das Auditorium wurde seinerzeit von dem Architekten Miloš Lamel (1884–1964) geschaffen, und es soll nach derzeit (Anfang 2024) öffentlich zugänglichen Informationen bei der geplanten, bevorstehenden Rekonstruktion des Campus sein fast intaktes Inneres verlieren.

Der fünfte Kongress der Weltliga für Sexualreform in Brno fand vom 20. bis 26. September 1932 statt. Drei Tage vor seinem offiziellen Beginn wurde er mit einem öffentlichen Vortrag Magnus Hirschfelds im Saal der Genossenschaft der Handels- und Industrieangestellten (Družstvo obchodních a průmyslových zaměstnanců, DOPZ) eröffnet, in dem Hirschfeld laut der Tageszeitung „Moravská orlice“ (Mährischer Adler) die „Notwendigkeit der Sexualreform vom sozialen, moralischen und materiellen Standpunkt“ aus beleuchtete. Der überfüllte Saal sei, so „Moravská orlice“, bis zum letzten Wort Hirschfelds in höchster Spannung gewesen: Jeder, der verstehen konnte und wollte, habe aus ihm sicher wertvolle, bisher unbekannte Impulse und Einsichten mitgenommen.

Hirschfeld selbst schrieb über den Kongress trotz der erheblichen gesundheitlichen Probleme, unter denen er litt („schwere Malariaanfälle, hohes Fieber, Herzattacken“), „guter Verlauf. Wiedersehen mit vielen: Leunbach – Haire – Hodann – Lewandowski – Elkan – vor allem Weisskopf.“ Letzteren glaubte Hirschfeld, in der Nachfolge Felix Abrahams (1901–1937) für sein „Institut für Sexualwissenschaft“ gewinnen zu können. Dazu sollte es allerdings nicht mehr kommen. Auch der Kongress der Weltliga für Sexualreform in Brno sollte der letzte seiner Art bleiben.

Weiterführende Literatur und Quellen:

  • Ellis, Havelock; Forel, August; Hirschfeld, Magnus; Haire, Norman; Leunbach, J. H. (1932): V. Mezinárodní kongres Světové Ligy pro sexuální reformu na vědeckém podkladě. V. Internationaler Kongress der Weltliga für Sexualreform auf wissenschaftlicher Grundlage. Brno/Brünn.
  • Herrn, Rainer (2022): Der Liebe und dem Leid. Das Institut für Sexualwissenschaft 1919–1933. Berlin: Suhrkamp, hier S. 450.
  • Nachrichten der WLSR/Publications of WLSR/Publications de la WLSR (1933), in: Sexus (Jg. 1), Nr. 1, S. 62–63.
  • Scize, Pierre (1933): Le Congrès de la Ligue Mondiale pour la Réforme Sexuelle de Brno, in: Sexus (Jg. 1), Nr. 1, S. 38–47.
  • Seidl, Jan u. a. (2012): Od žaláře k oltáři: Emancipace homosexuality v českých zemích od roku 1867 do současnosti. Brno: Host, S. 202–204.
  • Sexualforschung in Brünn-Brno (1932), in: Deutsche Aerzte-Zeitung (Jg. 7), Nr. 324, [S. 4].
  • Weisskopf, Josef (1933): Der Brünner Sexualkongress, in: Sexus (Jg. 1), Nr. 1, S. 26–33.

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