Profil

Nach dem erzwungenen Ende aller deutschen Zeitschriften, die sich um die Belange homosexueller Männer und Frauen sowie trans* und bisexueller Personen bemühten und sich für deren Interessen einsetzten, war „Hlas“ neben dem Schweizer „Freundschaftsbanner“ (später „Der Kreis“) ab 1933 weltweit die einzige Zeitschrift für Angehörige sexueller Minderheiten. Sie erschien von 1931 bis 1938 mit mehreren Unterbrechungen und unter verschiedenen Namen in Prag. Die zweite tschechoslowakische Zeitschrift für homosexuelle Männer und Frauen, „Kamarád“ (dt. „Der Freund“), wurde 1932 aus Anlass des bevorstehenden fünften Kongresses der Weltliga für Sexualreform in Brno (Brünn) verlegt, doch ist nicht bekannt, wie viele Ausgaben von ihr erschienen. Heute ist nur das erste Heft erhalten.

„Hlas“ wurde 1931 als „Hlas sexuální menšiny“ (Stimme der sexuellen Minderheit) von Vojtěch Černý (1893–1938) und dessen Bruder František Černý (1886–1954) gegründet, erschien zunächst im zweiwöchentlichen Rhythmus, musste ihr Erscheinen aber aufgrund finanzieller Schwierigkeiten bereits nach einem Jahr einstellen. Ab 1932 erschien sie als „Nový hlas. List pro sexuální reformu“ (Neue Stimme. Zeitschrift für Sexualreform) monatlich, von 1936 bis 1937 als „Hlas“ (Die Stimme), jetzt aber mit dem übernommenen Untertitel „List pro sexuální reformu“, und 1938 mit nur einer einzigen Ausgabe als „Hlas přírody“ (Stimme der Natur). Erst 1940 wurde mit „Levensrecht“ (Lebensrecht) im niederländischen Amsterdam eine neue Zeitschrift für Homosexuelle herausgegeben. Sie konnte aufgrund der deutschen Besetzung der Niederlande aber schon nach zwei Monaten nicht mehr fortgeführt werden und erschien als regelmäßige Publikation erst 1946 erneut.

Dem Team von „Hlas“ gehörten zahlreiche tschechische und slowakische Persönlichkeiten unterschiedlicher Provenienz an, die zum Teil unter ihrem Klarnamen, zum Teil unter Pseudonym oder einem Künstler*innennamen veröffentlichten. Sie brachten ihre juristischen, medizinischen, literarischen und/oder kulturhistorischen Kenntnisse und Interessen ein, um die Belange von Menschen aus dem LSBTIQ*-Spektrum zu fördern und zu schützen. Zudem scharte sich eine Reihe von Autor*innen anderer Nationalitäten um die Zeitschrift. In ihren Artikeln ging es um die rechtliche und soziale Situation Homosexueller vor allem in der Tschechoslowakei, namentlich den § 129 des tschechoslowakischen Strafgesetzbuches, der männliche wie weibliche Homosexualität mit Strafen belegte, aber auch um Kunst und Literatur, und in Anzeigen warben vor allem Klubs und Lokale in Prag um homosexuelle Gäste. „Hlas“ wandte sich dabei bereits früh an ein deutschsprachiges Publikum, und sie fühlte sich Magnus Hirschfeld und seinem ehemaligen Berliner Umfeld eng verbunden.

Von František Jelínek (1891–1959) aus Prag wird etwa angenommen, dass er schon vor dem Ersten Weltkrieg über mehrere Jahre in schriftlichem Kontakt mit Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) stand. Er war 1923 Mitbegründer des „Vědecko-humanní společnost“ bzw. „Vědecko-humanitní společnost“, das sich in seinem Namen wie in seinem Programm ganz an das Berliner WhK anlehnte und als erste Organisation für Homosexuelle in der Tschechoslowakei entstand. Der Antrag auf Anerkennung des Vereins scheiterte aber, da die tschechoslowakischen Behörden davon ausgingen, die Tätigkeiten des Vereins könnten „zur Verbreitung und Begehung von Straftaten nach § 129 des Strafgesetzbuches beitragen“. 

Imrich Matyáš (1896–1974), umtriebiger Autor in „Hlas“ aus Bratislava in der heutigen Slowakei, war Mitglied des Berliner WhK sowie der Weltliga für Sexualreform (WLSR). Wann genau er Hirschfeld kennenlernte, ist indes nicht belegt, aber Kurt Hiller (1885–1972) kannte er offenbar schon in den 1920er Jahren. Matyáš lud Hirschfeld nach Bratislava ein, und als dieser 1932 eine Vortragsreise durch die Tschechoslowakei unternahm, begleitete er ihn. Mit Kurt Hiller stand Imrich Matyáš nachweislich bis 1970 in brieflichem Kontakt.

Nachdem Magnus Hirschfeld Deutschland schon 1931 verlassen hatte, um sich auf eine Welttournee zu begeben und in deren Folge nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte, entwickelte sich „Hlas“ zunehmend auch zu einem Sprachrohr für exilierte Homosexuelle aus dem Deutschen Reich. Schon 1931 waren vereinzelte deutschsprachige Artikel in der Zeitschrift erschienen. Vorübergehend wurde auch eine deutschsprachige Beilage herausgegeben, und Ende 1933 nahm Hirschfelds Lebenspartner Karl Giese (1898–1938) Kontakt mit der Redaktion von „Nový hlas“ auf, um diese Beilage zu einer eigenständigen Zeitschrift in deutscher Sprache weiterzuentwickeln. In einem Grußwort schrieb Magnus Hirschfeld: „Die Flamme, die im Lande Goethes, Kants und Nietzsches erlosch, wird im Lande eines Huss, Comenius und Masaryk in neuem Glanze aufleuchten und ihre Strahlen einst wieder dorthin zurückwerfen, wovon das Licht seinen Ausgang nahm. Dank Euch, tschechoslowakische Kameraden und Fackelträger!“ Die Bemühungen Gieses scheiterten jedoch, und mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht entfielen auch die letzten Bedingungen für eine Fortsetzung der Zeitschrift.

Ein weiterer Autor von „Hlas“, der genannt werden könnte, ist Karl Meier (1897–1974). Meier, der sich später als Herausgeber und Redakteur der Schweizer LSBTIQ*-Zeitschrift „Der Kreis“ einen Namen machen sollte, veröffentlichte bereits 1934 unter dem Pseudonym „Rudolf Rheiner“ einen Beitrag in „Hlas“. Auch er war ein Fackelträger im Sinne Magnus Hirschfelds.

Über etliche der deutsch-tschechischen bzw. deutsch-slowakischen Beziehungen und gegenseitigen Impulse ist heute im deutschsprachigen Raum nur wenig bekannt. Wer weiß schon, dass Gill (eigentlich Julie) Sedláčkovás (1908–1978) homoerotischer Roman „Třetí pohlaví“ (Das dritte Geschlecht) 1937 erschien, der schon im Titel an Magnus Hirschfeld und dessen Veröffentlichungen anspielte? Oder dass Ludmila Skokanová (1906–1988) unter dem Pseudonym „Lída Merlínová“ 1929 den ersten lesbischen Roman in tschechischer Sprache herausgab, der innerhalb kurzer Zeit ein großer Erfolg wurde? 1935 folgte ihr Roman „Zdenin světový rekord“ (Zdenas Weltrekord). Er handelt von dem tschechoslowakischen Leichtathleten Zdeněk Koubek (1913–1986), der sich Mitte der 1930er Jahre, nachdem er bei der Weltmeisterschaft der Frauen 1934 zwei Medaillen gewonnen hatte, geschlechtsangleichenden Operationen unterzog.

Der vorliegende Internetauftritt will versuchen, einige Wissenslücken zu füllen, sowie zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema anregen. Zu diesem Zweck stellen wir auf den folgenden Seiten die Zeitschrift „Hlas“ in Form sämtlicher Inhaltsverzeichnisse, Kurzbiografien von zentralen Mitarbeiter*innen in deutscher Sprache, ausgewählter Artikel im deutschen Original bzw. in deutscher Übersetzung oder als Zusammenfassung sowie den abgedruckten Abbildungen vor. Angaben zum Umfeld der Zeitschrift kommen ergänzend hinzu. Unser Ziel ist es, die deutsch-tschechische bzw. deutsch-slowakische Sprachgrenze zumindest in Ansetzen einzureißen, die LSBTIQ*-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts als ein europäisches Projekt erfahrbar zu machen und nicht zuletzt Interesse an den damaligen Lebensbedingungen und Organisationsmöglichkeiten nicht heteronormativ lebender und fühlender Menschen außerhalb Deutschlands zu wecken.

Aus rechtlichen Gründen konnten wir die Zeitschrift „Hlas“ nicht komplett auf diese Seite stellen. Alle ihre Ausgaben liegen aber in der Tschechischen Nationalbibliothek (Národní knihovna České republiky) vor, die ihren wohl einzigartigen Bestand der Zeitschrift im Sommer 2023 auf Anregung der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft digitalisiert hat. Auf der Website der Tschechischen Nationalbibliothek sind die Ausgaben mit einem entsprechenden Bibliotheksausweis einsehbar.

Sollten Sie Fehler, Missverständliches oder Leerstellen auf unserer Seite entdecken, wären wir für Hinweise und Anregungen dankbar. Die Webseite zur Zeitschrift „Hlas“ ist als ein „work in progress“ gedacht, zu deren Gelingen jede und jeder beitragen kann. Die Angaben in diesem Webauftritt werden fortlaufend aktualisiert und ergänzt. Es lohnt sich also, immer mal wieder vorbeizuschauen.

Esra Paul Afken und Raimund Wolfert

Weiterführende Literatur und Quellen:

  • Fanel, Jiří (2000): Gay historie. Praha: Dauphin, S. 392–393 und 402–432. 
  • Fiala, Jaroslav (2018): Without History We Are Dust. An interview with Anna Hájková, Jan Seidl, Ladislav Zikmund Lender. Across Europe, a rising far right is on the offensive against LGBT people, auf: jacobinmag.com.
  • Himl, Pavel, Franz Schindler und Jan Seidl. Hrsg. (2013): „Miluji tvory svého pohlaví“. Homosexualita v dějinách a společnosti. Praha: Argo.
  • Huebner, Karla (2010): The Whole World Revolves Around It: Sex Education and Sex Reform in First Republic Czech Print Media, in: Aspasia (Jg. 4), S. 25–48.
  • Hynie, Josef (1931): IV. kongres Svetové ligy pro sexuální reformu ve Vidni. Der IV. Kongress der Weltliga für Sexualreform in Wien, in: Ceská Dermatologie 12 (1), S. 14–18.
  • Hynie, Josef (2000): Das Studium der Sexuologie in Berlin und Wien. Übersetzung aus dem Tschechischen von Franz Schindler, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 31/32, S. 51–53. [Ursprünglich erschienen als: Hynie, Josef (1931): Studium sexuologie v Berline a ve Vidni, in: Ceská Dermatologie 12 (3), S. 219–223.]
  • Jepsen, Harald Hartvig (1998): Stimmen aus dem schwulen Prag 1918–1938, in: Herzer, Manfred (Hrsg.): Hundert Jahre Schwulenbewegung. Dokumentation einer Vortragsreihe in der Akademie der Künste. Berlin: Verlag rosa Winkel, S. 111–128. [Deutschsprachige Version von: Jepsen, Harald Hartvig (1993): Neprovedené osvobození. Boj proti paragrafům o sodomii v letech 1918–1938. Seminar paper at Aarhus Universitet. Aarhus.]
  • Lishaugen, Roar (2011): „Skoro unikum v celé světové literatuře”. Představy hranického nakladatele Josefa Hladkého o homoerotické edici, in: Kdysi a nedávno Nr. 2, S. 71–76.
  • Lishaugen, Roar und Jan Seidl (2011): Generace hlasu. Česká meziválečná homoerotická literatura a její tvůrci, in: Putna, Martin C.: Homosexualita v dějinách české kultury. Praha: Academia, S. 209–280.
  • Musial, Petr (1999): Postavení homosexuálů v ČSR v letech 1918–38. Bachelor degree paper at Filozofická fakulta Univerzity Karlovy. Praha.
  • Putna, Martin C. u. a. (2011): Homosexualita v dějinách české kultury. Praha: Academia.
  • Queer Memory: Loading: Love – History textbooks forgot about (Online-Ausstellung, 2021).
  • Schindler, Franz (1999): Prager Besuch am Institut für Sexualwissenschaft im Jahre 1929, in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 29/30, S. 81–86.
  • Schindler, Franz (2003): František Čeřovský, otec boje za dekriminalizaci homosexuálů v Československu, in: Souvislosti Nr. 4, S. 70–79.
  • Schindler, Franz (2015): Blick durch die „rosa Brille“. Die Tschechen und die sexuelle Minderheit, in: BBE Europa-Nachrichten. Newsletter für Engagement und Partizipation in Europa Nr. 9.
  • Seidl, Jan (2012): Homosexualita v praxi a diskurzu trestního práva, medicíny a občanské společnosti od vydání trestního zákona z roku 1852 do přijetí trestního zákona z roku 1961 (dizertační práce). Praha: Univerzita Karlova v Praze, Fakulta humanitních studií.
  • Seidl, Jan u. a. (2012): Od žaláře k oltáři: Emancipace homosexuality v českých zemích od roku 1867 do současnosti. Brno: Host.
  • Seidl, Jan u. a. (2014): Queer Prague. A Guide to the LGBT History of the Czech Capital 1380–2000. Brno: Černá pole.
  • Soetaert, Hans P. (2015): Hirschfelds Fackelträger in der Tschechoslowakei (und in der Schweiz?), in: Capri Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 49, S. 7–31.
  • Zdráhalová, Judita (2022): Život a kriminalizace českých neheterosexuálních žen v 1. polovině 20. století (bakalářská práce). Vedoucí práce: prof. doc. PhDr. Tomáš Petráček, Ph.D., Th.D. Praha: Univerzita Karlova, katolická teologická fakulta, Katedra církevních dějin a literární historie.

Dank an: