Vojtěch Černý (1893–1938)

Foto: Vojtěch Černý, Quelle: Wikipedia (cs)

Veröffentlichte in „Hlas“ unter seinem Klarnamen bzw. der Namensform Vojta Č[erný].

Vojtěch Černý wurde am 20. April 1893 als Sohn eines Landwirts und dessen Frau in dem Dorf Velké Zboží, heute ein Stadtteil von Poděbrady (Podiebrad), etwa 60 km östlich von Prag geboren. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete er als Stallknecht bei Graf Oktavián Zdenko Kinský (1844–1932) in Chlumec nad Cidlinou (Chlumetz an der Cidlina). Anschließend machte er eine Ausbildung zum Fleischer und arbeitete von 1913 bis 1914 in Wien.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs trat Vojtěch Černý in die österreichisch-ungarische Armee ein, in der er als Gefreiter diente. Im Hochsommer 1916 geriet er an der Ostfront in russische Gefangenschaft, und wenig später meldete er sich ähnlich wie sein älterer Bruder František zwei Jahre zuvor in die Tschechoslowakischen Legionen in Russland, militärischen Freiwilligenverbänden, die gegen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich kämpften. In der Schlacht bei Zborov im Nordosten der heutigen Slowakei erlitt er Anfang Juli 1917 Verwundungen an beiden Beinen.

1920 kehrte Vojtěch Černý in die Tschechoslowakei zurück und wurde Berufssoldat, zunächst im Rang eines Unteroffiziers im mährischen Olomouc (Olmütz). 1923 heiratete er auf Anraten seines Bruders, doch trennte er sich schon nach drei Monaten wieder von seiner Frau. Die Eheleute brachen jeden Kontakt zueinander ab, formal blieb ihre Ehe aber rechtskräftig. 1925 ließ sich Vojtěch Černý zum Fernmelder ausbilden und wurde schließlich zum stellvertretenden Kommandanten des Fernmeldekorps in Olomouc ernannt.

Am 15. April 1928 ging beim Divisionshauptquartier in Olomouc eine anonyme Anzeige ein, nach der Vojtěch Černý beschuldigt wurde, sexuelle Beziehungen zu einem anderen Mann innerhalb des Militärs zu unterhalten. Briefe wurde vorgelegt und Zeugenaussagen eingeholt. Spätere Ermittlungen ergaben, dass etliche der Černý unterstellten Soldaten seit etwa 1926 von dessen Homosexualität wussten.

In dem Prozess vor dem Divisionsgericht in Olomouc wurde Vojtěch Černý nach dem § 129 des tschechoslowakischen Strafgesetzbuches zunächst zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Doch in der Berufungsverhandlung wandelte das Oberste tschechoslowakische Militärgericht die Strafe in eine unbedingte sechswöchige Haftstrafe um, die Černý im Gefängnis auf dem Hradschin (Hradčany) in Prag verbüßte. Er wurde ferner aus dem Militärdienst entlassen und verlor nicht nur alle seine militärischen Auszeichnungen, sondern auch den Anspruch auf eine Militärrente. Aufgrund der Verurteilung konnte Vojtěch Černý fortan ebenfalls keinen Beruf im öffentlichen Dienst der Tschechoslowakei mehr ausüben, so dass er existenziell von seinem Bruder František abhängig war, bei dem er zeitweise auch wohnte.

Anfang der 1930er Jahre riefen die beiden Brüder die Zeitschrift „Hlas“ ins Leben, wobei die Zeitschrift als ständige Einnahmequelle aus selbstständiger Tätigkeit vor allem für Vojtěch Černý gedacht war. Die Zeitschrift entwickelte sich jedoch nie so erfolgreich, dass Vojtěch Černý von ihr hätte leben können. Sie hatte von Anfang mit ständigen finanziellen und existenziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. František Černý zog sich im Herbst 1931 aus der Redaktion der Zeitschrift zurück, und fortan fungierte Vojtěch Černý als alleiniger Eigentümer und verantwortlicher Redakteur von „Hlas“.

Obwohl Vojtěch Černý im Zuge von Krediten zeitweise über erhebliche Finanzmittel verfügte, scheiterte sein Geschäftsplan, und im Frühjahr 1932 gab er das Ende des Erscheinens der Zeitschrift bekannt.

Die erste Ausgabe der Nachfolgezeitschrift „Nový hlas“ erschien am 1. Mai 1932. Die Redakteure der Zeitschrift kauften Vojtěch Černý das Inventar seines Redaktionsbüros und das Abonnentenverzeichnis ab, um die Rechte der Abonnenten bis Ende des Jahres 1932 zu übernehmen und zu wahren. Doch weigerte sich Černý, die bereits eingezogenen Abonnementgebühren anteilig an die neue Redaktion abzuführen.

Vojtěch Černý erlitt im Zuge der Aufgabe von „Hlas“ einen persönlichen Bankrott, lieh sich in der Folge von verschiedenen Privatpersonen und Institutionen Geld und zahlte auch diese Darlehen nicht zurück. Die Gläubiger wandten sich schließlich an die Polizei, um die Schulden einzutreiben. Am 3. März 1935 wandte sich Vojtěch Černý schriftlich an den tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937) und bat darum, dass seine Verurteilung von Ende der 1920er Jahre unter Amnestie fallen solle, die aus Anlass des 85. Geburtstags des Präsidenten erwartet wurde. In der Tat wurde daraufhin Černýs Verurteilung aus dem Strafregister gelöscht, die übrigen Sanktionen gegen ihn blieben jedoch in Kraft.

In weiteren Anträgen bemühte sich Vojtěch Černý um die Wiederanerkennung seiner Rentenansprüche, doch wurden diese Anträge abgelehnt. In dieser Zeit, Mitte der 1930er Jahre, setzte sich Černý für die offizielle Zulassung der Tschechoslowakischen Liga für Sexualreform ein, an deren Gründung er auch beteiligt war. Die Liga spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines informellen Unterstützungs- und Beratungsnetzwerks, das sich über die gesamte Tschechoslowakei erstreckte und die Abschaffung des § 129 des tschechoslowakischen Strafgesetzbuches zum Ziel hatte.

Am 16. April 1938 wurde Vojtěch Černý erneut verhaftet und nach eben diesem Paragrafen wegen homosexuellen Verkehrs angeklagt. Am Ostersonntag, den 17. April 1938, nahm er sich nach einem Verhör auf der Polizeistation in Prag-Vinohrady (damals noch Královské Vinohrady) das Leben, indem er sich an einem aus seinem Hemd angefertigten Strick erhängte. Vojtěch Černý wurde in einem Ehrengrab auf dem Friedhof Olšany im Prager Stadtteil Žižkov beigesetzt.

Vojtěch Černýs Nachruhm blieb geteilt. Während viele Menschen, insbesondere tschechische und slowakische Homosexuelle, ob seines langjährigen Engagements Dankbarkeit ihm gegenüber empfanden, kritisierten ihn andere für seinen Lebenswandel sowie sein Verhalten in finanziellen und organisatorischen Angelegenheiten.

Veröffentlichungen in „Hlas“:

  • Mužká prostituce a vyděračství | Männliche Prostitution und Erpressung, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (1), S. 4–5.
  • Vyděračstvi | Erpressung in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (2),S. 9–11.
  • Mužští prostituti a jejich vyděračská činnost | Männliche Prostituierte und ihre kriminellen Machenschaften, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (3), S. 9.
  • Méně apatie! | Weniger Apathie!, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (4), 11.
  • Homosexualita a zločinnost ve světle denního tisku | Homosexualität und Kriminalität im Licht der Tagespresse, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (9), S. 5–6.
  • K úvahám Mojmíra Vaňka o sexuálních problémech a mravnosti | Über M. Vaneks Überlegungen zu sexuellen Problemen und Moral, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (11), S. 7–9.
  • Da jedné fronty! | In eine Front!, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (12),S.  2–3.
  • Analysa našeho boje | Analyse unseres Kampfes, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (14), S. 1–2.
  • Věčné památce prof. dr. A. Forela | Zum ewigen Gedenken an Prof. Dr. A. Forel, in: Hlas sexuální menšiny, 1931 (7–8), S. 1–2.
  • Do nového roku | Ins neue Jahr, in: Hlas list sexuální menšiny, 1932 (1), S. 1–3.
  • Dočká se 750.000 občanů tohoto státu své svobody? | Werden die 750.000 Bürger dieses Staates ihre Freiheit erkennen?, in: Hlas list sexuální menšiny, 1936 (1), S. 7–9.
  • Veliká pravda | Die große Wahrheit, in: Hlas list sexuální menšiny, 1936 (2), S. 17–19.
  • Zločiny na nevinných | Verbrechen gegen Unschuldige, in: Hlas list sexuální menšiny, 1936 (5), S. 44–45.
  • Kde je pravda? | Wo liegt die Wahrheit?, in: Hlas list sexuální menšiny, 1936 (3–4), S. 26–7.
  • Konečně …! (Z minulosti i dneška) | Endlich …! (Aus Vergangenheit und Gegenwart), in: Hlas list sexuální menšiny, 1937 (1), 2–3.

Nachruf in „Hlas“:

  • Antonín Skládal: In memoriam Vojty Černého | Zum Gedenken an Vojta Černý, in: Hlas přírody – orgán „Ligy pro sexuální reform“, 1938 (1), S. 8–9.

Weiterführende Literatur und Quellen:

  • Seidl, Jan (2012): Homosexualita v praxi a diskurzu trestního práva, medicíny a občanské společnosti od vydání trestního zákona z roku 1852 do přijetí trestního zákona z roku 1961 (dizertační práce). Praha: Univerzita Karlova v Praze, Fakulta humanitních studií, S. 173–180.
  • Seidl, Jan u.a. (2012): Od žaláře k oltáři: emancipace homosexuality v českých zemích od roku 1867 do současnosti. Brno: Host, S. 157–168.
  • Seidl, Jan u.a. (2014): Queer Prague. A Guide to the LGBT History of the Czech Capital 1380–2000. Brno: Černé pole, S. 74, 96–97.

Internet:


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