Emanuel Chalupný (1879–1958)

Foto: Emanuel Chalupný, Quelle: Sociologická encyklopedie

In „Hlas“ verwendete Pseudonyme, Kürzel oder Namensformen: V. Chalupný.

Emanuel Chalupný wurde am 14. Dezember 1879 im südböhmischen Tábor, etwa 90 Kilometer südlich von Prag, geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er an der Juristischen und Philosophischen Fakultät der Prager Karls-Universität, wo er unter anderem die Lehrveranstaltungen des Philosophen und späteren ersten Staatspräsidenten der Tschechoslowakei Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937) besuchte. Masaryk schätzte Chalupnýs Talente und Fähigkeiten sehr und überredete ihn 1903, eine innenpolitische Kolumne in der Tageszeitung „Čas“ (Die Zeit) zu übernehmen. Im selben Jahr schloss Chalupný sein Studium mit dem Diplom ab und wurde Doktor der Rechte.

Tomáš Garrigue Masaryk hatte 1900 die „Česká strana lidová“ (Tschechische Volkspartei) gegründete, für deren Nachfolgepartei „Česká strana pokroková“ (Tschechische Fortschrittspartei) er von 1907 bis 1914 im österreichischen Reichsrat saß. Auch Emanuel Chalupný trat der Tschechischen Volkspartei bei, geriet aber wegen seiner kritischen Haltung schnell in Konflikte mit anderen führenden Persönlichkeiten und verließ sie schon 1904 wieder.

Emanuel Chalupný praktizierte ab 1904 zunächst als Anwaltskandidat im mittelböhmischen Mladá Boleslav (Jungbunzlau), und von 1906 bis 1910 war er unter anderem Referandar bei dem bekannten Prager Juristen Václav Bouček (1869–1940), bei dem er viele wertvolle Berufserfahrungen sammelte. 1910 eröffnete Chalupný nach der bestandenen Anwaltsprüfung eine eigene Kanzlei in seiner Heimatstadt Tábor, in der er bis 1928 vor allem Menschen aus der Stadt und ihrer Umgebung vertrat. Oft arbeitete er für seine Mandanten auch kostenlos, wenn sie sich keinen Anwalt leisten konnten. Aus den Einnahmen seiner Kanzlei finanzierte Emanuel Chalupný seine umfangreiche wissenschaftliche, literarische und publizistische Tätigkeit überwiegend selbst. Privat reiste er gerne. Im Übrigen ist über seine privaten Lebensumstände wenig bekannt. Belegt ist indes, dass er mit dem Dichter Otokar Březina gut befreundet war. Über dessen Ansichten zur Homosexualität referierte er in „Hlas“ bzw. „Nový hlas“.

Emanuel Chalupný war weder bei den Gerichten noch in akademischen und einflussreichen Kreisen sonderlich beliebt. Wegen seines ausgeprägten Gerechtigkeitssinns machte er sich viele Feinde. Auch in der Theorie war er nicht unumstritten. Diese Umstände spiegeln sich auch in seiner akademischen Laufbahn wider. Chalupný wurde 1916 zur Habilitation an die Prager juristische Fakultät eingeladen, doch nach vierjährigen Beratungen wurde sein Antrag ohne Angabe von Gründen abgelehnt. Der 1921 Chalupný zugesagte Lehrstuhl für Soziologie an der neuen Comenius-Universität in Bratislava wurde gestrichen, und erst 1928 wurde Chalupný zum Professor für Soziologie an der Freien Hochschule für Politikwissenschaft in Prag ernannt, die allerdings nicht den Status einer Universität innehatte. 1936 wurde Emanuel Chalupný außerordentlicher Professor für Soziologie an der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn. Hier hielt er auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch Vorlesungen. Er beendete seine universitäre Tätigkeiten 1950.

Emanuel Chalupný war eine herausragende Persönlichkeit des tschechischen Wissenschaftslebens und der tschechischen Kultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Schüler von Tomáš Garrigue Masaryk entwickelte er die Soziologie weiter, die Wissenschaft, deren Grundlagen Masaryk in den tschechischen Ländern mit geschaffen hatte. Vornehmliches Ergebnis von Chalupnýs lebenslangen Bemühungen sind neun Bände der systematischen Soziologie, die sich mit verschiedenen Aspekten dieser Wissenschaft befassen. Es handelt sich nach wie vor um das umfangreichste Werk auf diesem Gebiet in der Tschechischen Republik. Ab 1923 war Emanuel Chalupný Mitglied des Internationalen Instituts für Soziologie in Genf (Schweiz) und 1934/35 auch dessen Vizepräsident. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Masaryk-Gesellschaft für Soziologie (1925), deren Vorsitzender er von 1930 bis 1939 war. Während des Zweiten Weltkriegs war er Vorsitzender der nachfolgenden Tschechischen Gesellschaft für Soziologie, und nach dem Krieg wurde er zum Ehrenvorsitzenden der Masaryk-Gesellschaft für Soziologie ernannt. Diese wurde jedoch schon 1948 wieder aufgelöst.

Emanuel Chalupný starb am 27. Mai 1958 in seiner Geburtsstadt Tábor.

Gedenken:

Vierzig Jahre nach seinem Tod wurde in Tábor eine Gedenktafel für Emanuel Chalupný enthüllt. Sie befindet sich an seinem früheren Wohnhaus in der Ústecká ul. Nr. 704. Anlässlich des Todestages veröffentlichte die Stadt Tábor zusammen mit der Universität für Europa- und Regionalstudien die Publikation „Emanuel Chalupný, česká kultura, česká sociologie a Tábor“ (Emanuel Chalupný, die tschechische Kultur, die tschechische Soziologie und Tábor). In ihm sind alle wissenschaftlichen, beruflichen, publizistischen und literarischen Veröffentlichungen Emanuel Chalupnýs chronologisch aufgeführt (S. 273-387).

Veröffentlichungen in „Hlas“:

  • Otokar Březina o homosexualitě | Otokar Březina über die Homosexualität, in: Hlas – list pro sexuální reformu, 1936 (2), S. 14–16.

als V. Chalupný

  • Březinovy názory o homosexualitě | Březinas Ansichten zur Homosexualität, in: Nový hlas – list pro sexuální reformu, 1933 (1), S. 3–5.

Weiterführende Literatur und Quellen:

  • Zumr, Josef (1999): Emanuel Chalupný, česká kultura, česká sociologie a Tábor. Sborník příspěvků ze stejnojmenného symposia, konaného ve dnech 2.–3. října 1998 v Táboře. Praha: Filosofia.

Internet:

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