Karl Giese (1898–1938)

Foto: Karl Giese, Quelle: Archiv der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft

Veröffentlichte in „Hlas“ unter seinem Klarnamen.

Karl Giese, der spätere langjährige Lebenspartner Magnus Hirschfelds, wurde am 18. Oktober 1898 in eine Arbeiterfamilie in Berlin-Wedding geboren. Er muss Hirschfeld bereits in jungen Jahren kennen gelernt haben. 1919 trat er in einer Nebenrolle in dem Aufklärungsfilm „Anders als die Andern“ von Richard Oswald (1880–1963) auf, dem ersten „homosexuellen Film“ der Weltgeschichte. Am Institut für Sexualwissenschaft, das ebenfalls 1919 gegründet wurde, war er zunächst als Sekretär und dann als Leiter des Archivs und der Bibliothek tätig.

Die Plünderung des Instituts für Sexualwissenschaft am 6. Mai 1933 erlebte Karl Giese aus nächster Nähe, und bereits einen Tag später verließ er fluchtartig Berlin und reiste in die Schweiz, wo er für einige Zeit mit Magnus Hirschfeld und dessen neuem Lebensgefährten Li Shiu Tong (genannt Tao Li, 1907–1993) zusammenwohnte. 1933 folgte er Hirschfeld nach Frankreich, wo er die geretteten Institutsbestände sichten und benutzbar machen sollte. Nach einer „Badeanstaltsaffäre“, deren Anlass war, dass Giese in einer Pariser Sauna wegen sexueller Handlungen mit einem anderen Mann, möglicherweise einem „agent provocateur“, festgenommen worden war, verbüßte er eine mehrmonatige Haftstrafe und wurde im Oktober 1934 aus Frankreich ausgewiesen. Er zog daraufhin über Wien in die Tschechoslowakei, um hier die Möglichkeiten einer neuen Institutsgründung zu sondieren. Giese war um diese Zeit aber auch von Krankheit geplagt, so dass es in „Nový hlas“ (Nr. 10/1934, S. 19) hieß, er könne einen zugesagten Beitrag unter dem Titel „Kastrierte Biographien“ nicht verfassen.

Im Mai 1935 war Karl Giese bei der Trauerfeier für Hirschfeld in Nizza und hielt eine Gedenkrede auf den einstigen Lebenspartner, wobei er illegal in das Land gereist war. Fortan hielt er sich überwiegend in Brno (Brünn) auf, wo er nachweislich in Kontakt mit dem Rechtsanwalt Karel Fein, aber auch mit früheren Berliner Freund*innen wie Charlotte Charlaque (1892–1963) und Toni Ebel (1881–1961) stand.

Nach dem Tod Hirschfelds 1935 muss er das Gefühl gehabt haben, am Rande eines Vulkans zu wandeln. Der Leitstern seines Lebens war nicht mehr da, und Giese wurde zunehmend von Depressionen geplagt. In den letzten Monaten seines Lebens soll er verstärkt Englisch gelernt haben, möglicherweise dachte er über eine weitere Emigration nach Großbritannien oder in die USA nach. Der sogenannte Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich und die drohende Besetzung des „Sudetenlandes“ waren schließlich der direkte Anlass dafür, dass sich Karl Giese am 16. März 1938 in Brno (Brünn) das Leben nahm. Er war 39 Jahre alt geworden.

Das 2019 von Hans Bergemann, Ralf Dose und Marita Keilson-Lauritz herausgegebene Exil-Gästebuch Magnus Hirschfelds stammt aus Karl Gieses Nachlass.

Veröffentlichungen in „Hlas“:

  • Vražděni homosexuelních | Morde an Homosexuellen, in: Nový hlas – list pro sexuální reformu, 1934 (1), S. 9–10.

Gedenken:

  • 2016 hat die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft vor dem Berliner Haus der Kulturen der Welt, dem ehemaligen Sitz des Instituts für Sexualwissenschaft, einen Stolperstein zum Gedenken an Karl Giese verlegen lassen. Das Grab Gieses auf dem Zentralfriedhof in Brno ist nicht erhalten.

Weiterführende Literatur und Quellen:

  • Hergemöller, Bernd-Ulrich (2010): Giese, Karl, in: ders.: Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Teilband 1. Berlin/Münster, Lit Verlag, S. 404–405.
  • Soetaert, Hans P. (2013): Karl Giese, Magnus Hirschfeld‘s Archivist and Life Partner, and his Attempts at Safeguarding the Hirschfeld Legacy, in: Sexuologie (Jg. 20), Nr. 1-2, S. 83–88.
  • Soetaert, Hans P. (2018): Karl Gieses Pariser „Badeanstalts-Affäre“ und ihre Folgen, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten (Jg. 20), S. 60–95.

Internet:

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